Einführungsrede Jutta Fischer M.A.

Jutta Fischer M.A. Kunsthistorikerin

Eröffnungsrede zur Ausstellung 14.09.2013, 11.00 h
„Metawelten“ mit Arbeiten von Ralf Ehmann Künstlerbund Tübingen

Jutta Fischer M.A. Kunsthistorikerin
Malerei – Skulptur – Druckgrafik

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreunde und Kunstfreundinnen,
auch ich darf Sie sehr herzlich zur Ausstellung „Metawelten“ begrüßen. Die Schau zeigt Arbeiten des Kiebinger Künstlers Ralf Ehmann, die in den letzten drei Jahren entstanden sind. Zu sehen sind Werke unterschiedlicher künstlerischer Gattungen: Bildhauerei, Malerei sowie Druckgrafik.
Vorab einige Worte zum Werdegang des Künstlers. Nach ersten bildhauerischen Umsetzungen von Köpfen im Kindes- und Jugendalter beginnt er Ende der achtziger Jahre ein Studium an der Fachhochschule Mainz, welches anschließend an der Stuttgarter Kunstakademie in den Fächern Malerei und Bildhauerei bis Mitte der neunziger Jahre fortgesetzt wird. Es folgen Arbeitsaufenthalte und Studienreisen in Italien und Frankreich – unter anderem ging es nach Carrara, jenem Ort der für seinen Marmorsteinbruch berühmt ist. Seit über fünfzehn Jahren arbeitet Ralf Ehmann als freischaffender Künstler, heute in seinen Ateliers in Kiebingen mit angeschlossenem Galerieraum.
Seine Arbeiten befinden sich zwischenzeitlich beim Land Baden-Württemberg, dem Regierungspräsidium Tübingen, dem Mörikemuseum Cleversulzbach und in verschiedenen Privatsammlungen – um nur einige Ankäufe zu nennen. Darüber hinaus hat er in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Deutschland, Frankreich sowie in den USA seine Arbeiten präsentiert.
Der Titel „Metawelten“ verweist bereits auf ein wesentliches Merkmal der Kunst Ehmanns. Die Motive beschwören stets alternative Daseinsmöglichkeiten herauf, die über herkömmliche Vorstellungen und Wahrnehmungen der Realität hinausgehen. Dabei ist der Mensch im Zentrum mit seinem Handeln, Fühlen und Denken, häufig haben die dargestellten Figuren Ähnlichkeit mit dem Künstler selbst. Traumhafte Szenarien, in denen Dinge, Menschen, Landschaften und Räume verschiedenster Bereiche kombiniert werden, lassen den Betrachter irritiert zurück und stellen ihm die Aufgabe, Zusammenhänge selbst zu erschließen, assoziativ die magischen Bildwelten zu erkunden. Bildwelten, in denen immer wieder Elemente auftauchen, die zugleich vertraut als auch fremdartig erscheinen und das betrachtende Gegenüber dadurch in eine ambivalente Haltung versetzen.
Sind in der Bildhauerei der Imagination durch die technischen Vorgaben Grenzen gesetzt – das Arbeiten im Plastisch-Räumlichen ist der menschlichen, dreidimensionalen Lebenswelt näher – so besteht gerade in der Malerei, bei der von vornherein ein Abstraktionsvorgang vom Räumlichen in die Fläche stattzufinden hat, die Möglichkeit mehr zu imaginieren, weitere Geschichten auszubreiten. Nun bestechen die Arbeiten Ehmanns aber nicht allein durch phantasiereiche und tiefgründige Motive, sondern zudem durch die versierte Anwendung malerischer Mittel. So entsteht durch Lasuren -übereinandergelegte und durchscheinende Schichten der Ölfarbe – eine Wirkung, die dem Bild farbräumliche Tiefe verleiht. Durch malerische Modulationen ensteht Plastizität der Figuren und Gegenstände.
Bewusst kalkulierte ungleiche Proportionen und unklare Raumverhältnisse sorgen für einen befremdlichen Eindruck, der aber zugleich durch formale und farbliche Bereiche wieder aufgehoben wird. Oftmals spielen verbindende Elemente in den Arbeiten eine wesentliche Rolle.
Die großformatige Arbeit „Gabe“ etwa zeigt einen Mann der in angestrengt hockender Schrittbewegung Anstalten macht, eine von mehreren kreisrunden Öffnungen in einer gelben Trennwand zu durchschreiten. Dieses trennende und zugleich verbindende Element birgt die Möglichkeit einen anderen Raum, nämlich eine gebirgige Landschaft zu betreten. Ebenso befindet sich dieses Element im Rücken der Figur, was den Anschein erweckt, er habe eine solche Barriere bereits bewältigt. Formal bezieht sich dieses Gebilde mit den ebenfalls kreisrunden Öffnungen offensichtlich auf die gelbe Wand, ist aber in weiß-transparent gehalten. Damit greift es nicht allein formal gleiche Bildelemente auf, sondern verweist zudem auf mehrere farblich verwandte Bereiche der Bildfläche wie etwa die Horizontlinie des Berges, die Umrisse der Wolken oder die gekonnt ausgeführten Faltenwürfe des rätselhaften Objektes im Vordergrund, das unvermittelt den unteren Bildrand durchbricht und in den Raum ragt. Somit werden farblich und formal Bezüge hergestellt, die den enigmatisch-fremdartigen Charakter zurücknehmen und ihm zugleich einen vertrauten und einheitlichen Aspekt verleihen. Was aber hält die Figur in ihrem linken Arm? Ist das die titelgebende „Gabe“? Überbringt der Dargestellte überdimensionale Larven oder Brote? Dergleichen organisch anmutende Gebilde sowie landschaftliche Elemente tauchen in den jüngeren Arbeiten des Künstlers vermehrt auf. Nicht nur in Bildern wie „Jupitertropfen“, erscheint dieses larvenähnliche Etwas, wo es beziehungslos im Raum schwebt, auch in der Druckgrafik „Entwickler“ oder in der Marmorskulptur „Pflücker“ ist dieses Objekt wiederzufinden, welches sowohl Gedanken an Entwicklung oder Wachstum, als auch an Verpuppung auf den Plan ruft. Auch Landschaftliches lässt sich in den hier präsentierten Arbeiten immer wieder aufspüren. So verbinden etwa Felsformationen die einzelnen figurativen Bereiche der Marmor- und Bronzearbeiten, auch die Figuren der Druckgrafiken „Entwickler“ oder „Gipfelstürmer“ befinden sich in Gebirgslandschaften.
Die Arbeit „Zucker“ von 2011, deren Abbildung sie auf ihrer Einladungskarte sehen, greift das Thema Landschaft in besonderem Maße auf. Mehrere kunsthistorische Anspielungen aufgreifend, ironisiert Ehmann hier Kunst von der Renaissance über die Romantik bis hin zur Pop Art. Die knieende Rückenfigur mit auf das Licht gerichtetem Blick erinnert an romantische Landschaftsdarstellungen eines Caspar David Friedrich, der mit dem Licht am Ende des Horizonts nicht zuletzt die christliche Heilsbotschaft verbunden hat. Steht bei Friedrich aber etwa das gleißende Kreuz im Wald vor lichterfülltem Himmel, haben wir es hier mit einem profanen Objekt der Alltagskultur zu tun, nämlich mit einem Zuckerhut, der gerne für Feuerzangenbowle verwendet wird. Geht es hier also um eine Gesellschaftskritik, die den Menschen als vor dem Konsum niederknieenden Jünger beschreibt? Und werden wir explizit als Betrachterinnen und Betrachter damit angesprochen, denn die Rückenfigur dient nicht erst seit der Romantik als Identifikationsfigur für den Betrachter – steht er doch vor dem Bild, wie die dargestellte Figur vor dem Objekt bzw. der Landschaft. Oder aber ironisiert der Künstler damit die Haltung der Pop-Art Künstler wie Andy Warhol, die vor rund fünfzig Jahren begonnen haben, Alltagsobjekte als bildwürdig zu erklären, Suppendosen, Dollarnoten und Waschmittelkartons auf die Leinwände zu bringen und diese Motive somit in kurzer Zeit zum museumstauglichen, ehrfürchtig zu betrachtenden Objekt machten? Vielleicht geben ja die aus dem Himmel ragenden Fingerzeige einen Hinweis.
Die beiden sich fast berührenden Zeigefinger vor himmlischem Hintergrund erinnern sicher nicht allein Kunsthistoriker an ein Detail des berühmten Freskos Michelangelos „Die Erschaffung Adams“, in dem durch die göttliche Hand der Lebensfunke überspringt. In diesem Kontext betrachtet, mutiert der überdimensionierte phallische Zuckerhut einmal mehr zum Männlichkeitssymbol, welches durch seine Herkunft aus der banalen Konsumwelt sowie durch die sprunghaft verkleinerte Figur in Beschwörungshaltung mehrfach ironisch gebrochen wird. Abgesehen davon spielt sich die gesamte Szenerie in einer Landschaft ab, die eher apokalyptische Züge trägt. Grün-schwarz, morbide anmutende Flächen weisen Risse auf und auch der Boden unter den Füßen der zentralen Figur scheint nachzugeben, um früher oder später Mensch und Ding zu verschlingen. Vielleicht wird das Bild so auch zum Zeichen einer von Männern geschaffene Welt mit all ihren Heilsversprechungen vom Konsum über die Kunst bis hin zur Religion, die dem Untergang geweiht ist und deshalb nach Metawelten verlangt. Der Titel der Arbeit aber verweist auf nichts weiter als auf das zentrale Bildelement Zucker – als ob alle weitgehenden Interpretationen müßig wären: Zucker das allseitsgeliebte Nahrungsmittel. Der konkrete Titel dieser Arbeit, die so vieldeutig ist, wendet sich gerade durch seine Konkretheit gegen sie.
Die Titel seiner Arbeiten, so der Künstler selbst, spielen eine nicht unbedeutende Rolle. Zuerst gibt er den Werken Arbeitstitel, die dann bleiben oder verändert werden. Titel können die Interpretation in Gang setzen, weitere Assoziationsmöglichkeiten eröffnen, sowohl für den Künstler als auch für den Betrachter, in deutlichem Bezug zum Bild stehen oder aber bewusst gegen die bildliche Darstellung arbeiten und so einen Reflexionsvorgang beim Betrachter auslösen.
Seine Malerei betreffend steht Ralf Ehmann in der Tradition des Surrealismus. Sowohl seine Motivwahl, die Traum- und Rätselhaftes und Unterbewußtes aufgreift als auch die für den Surrealismus so typische unlogische Verbindung von Dingen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben verweisen darauf. Ebenso die malerische Technik der Collage, also das gemalte Nebeneinader von etwa festem Material, weichem Textil und auch Organischem wie sie auch Max Ernst umgesetzt hat. Auch der bewusste, teils poetische Umgang mit Titeln ist ein Aspekt, den auch die Surrealisten thematisierten. Man denke nur an Titel Salvador Dalis wie „Weiche Konstruktion mit gekochten Bohnen – Vorahnung des Bürgerkriegs“ oder René Magrittes „Die durchbohrte Zeit“. Gleichzeitig steht Ralf Ehmann mit seiner handwerklichen Perfektion einer gegenständlichen Malerei nahe, wie sie in der Nachwendezeit vor allem aus der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst hervorging, deren prominenteste Vertreter sicherlich Rosa Loy und Neo Rauch sind. Eine Malerei die figurativ ist, multidimensionale Deutungen provoziert aber in ihrem Gehalt abstrakt bleibt.
Nicht zu vernachlässigen sind in dieser Ausstellung die Druckgrafiken. Die grafische Kunst, oftmals als Stiefkind der Königsgattung Malerei betrachtet, ist allerdings gerade als künstlerisches Expermimentierfeld und als Schule des Sehens eine bedeutende künstlerische Ausdrucksweise. Darüber hinaus hat die Druckgrafik mit ihren Möglichkeiten der Reproduktion auch stets dafür gesorgt, dass originale Kunst – und auch das sind Druckgrafiken – zu moderaten Preisen erhältlich ist und damit für eine Demokratisierung der Kunst gesorgt, ist es so doch so ungleich mehr Menschen möglich, Kunst zu erwerben, abseits der utopischen Preise des Kunstmarkts.
In dieser Ausstellung sehen Sie Lithografien und Radierungen, die in der eigenen Druckerwerkstatt des Künstlers entstanden sind. Von der vorbereitenden Skizze über die Bearbeitung der Lithografiesteine bzw. der Radierplatten aus Kupfer bis hin zur Betätigung der Schleifdruck – und Zylinderpresse führt der Künstler alle Arbeitsschritte dieser aufwändigen und zeitintensiven künstlerischen Techniken selbst aus. So beherrscht Ralf Ehmann etwa die unterschiedlichsten Verfahren des Radierens: Kaltnadel, Aussprengverfahren, Handhabung des Roulettes sowie der Aquatintatechnik. Dies macht sich in den qualitativ hochwertigen Blättern bemerkbar. Auch in den Grafiken zeigt sich die eigene Bildsprache des Künstlers. Wie schon in der Malerei tauchen hier das Motiv des larvenähnlichen Gebildes auf, gebirgige Landschaften und ebenso das Motiv der Waagschale begegnet uns in mehreren präsentierten Arbeiten. So etwa in der Marmorarbeit „Waagschalenträger“, die an das menschliche Bewertungssystem erinnert, wie Menschen Dinge abwägen und auf verschiedene Weise gewichten.
Arbeitet Ralf Ehmann im Bildhauerischen mit unterschiedlichen Materialien wie Kalkstein und Sandstein, ist doch der energetische, dichte Marmor sein bevorzugter Werkstoff. Glatte, glänzende Bereiche wechseln sich hier ab mit bewegten, gröberen Oberflächen, wodurch ein lebendiger Kontrast zum wesentlichen Merkmal der Arbeit wird. Indem Motive aufgegriffen werden, nämlich Figuren, die sich aus dem Stein herauskristallisieren – die dargestellten Menschen sind stets von felsigen Elementen umgeben – reflektiert der Künstler das eigene Medium Bildhauerei, in welchem es doch darum geht, den rohen Stein zur Form werden zu lassen. Insofern findet hier neben den vieldeutigen Motiven ein Nachdenken über das künstlerische Medium statt, ein selbstreflexiver Prozess, der für die Kunst der Gegenwart so charakteristisch ist. Somit überzeugt die Kunst Ralf Ehmanns einmal mehr in ihrer Multidimensionalität und verortet sich auf der Höhe ihrer Zeit.
Und immer wieder, in allen Gattungen, befindet sich der Mensch inmitten der rätselhaften Anordnungen. Der Mensch, der für das betrachtende Gegenüber stets Identifikationsfigur ist. Ein Wiedererkennen von menschlichen Gefühlen, Haltungen, Handlungsweisen ist so möglich und wird uns bildhaft vor Augen geführt. Sind es doch mitunter „kaum verbalisierbare Zustände“, so der Künstler, in denen wir uns befinden und so sind es die Irritationen, die Ambivalenzen auch die Uneindeutigkeit mancher Gefühle, die der Künstler gleichsam mit Einfühlung und Distanz reflektiert und betrachtet.
Ich danke für ihr aufmerksames Zuhören.

Jutta Fischer M.A. Kunsthistorikerin

 

Eröffnungsrede zur Ausstellung 14.09.2013, 11.00 h
„Metawelten“ mit Arbeiten von Ralf Ehmann Künstlerbund Tübingen

Jutta Fischer M.A. Kunsthistorikerin